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03Eine Reise durch das Land der heißen Quellen

Die Stadt Gero Onsen

Die Lounge des Suimeikan-Ryokan

Etwas Schnee fällt in das Außenbecken, indem ich mich gerade entspanne. Über mir huschen zwei Vögel durch die Baumkronen. Zum ersten Mal in diesem Jahr fällt mir auf, dass der Winter schon längst da ist. In Tokio und den Küstenregionen des Landes lässt er noch auf sich warten, aber hier in Gero Onsen, hier hat die eisige Jahreszeit schon längst Einzug gehalten. Es ist kalt und ich lasse mich mehr ins warme Wasser der heißen Quelle (dem Onsen) gleiten. Im Onsen schweifen die Gedanken und hier treffe ich Entscheidungen fürs Leben. Wo kann man das auch besser machen als im über 40 Grad warmen Quellwasser, in einem Zustand der völligen Entspannung. In ein Onsen zu gehen, ist nicht bloß einfaches Baden wie in der Ostsee Therme. Hier lädt man seine mentalen Batterien auf. Es ist wie eine Reinigung für Körper und Seele.

Die Stadt Gero liegt eine zweistündige Zugreise von Nagoya entfernt, in den Bergtälern der Präfektur Gifu. Wir sind Gäste in einem der größten Ryokan Hotels der Stadt, dem „Suimeikan“. Die edle Hotelanlage, in der selbst schon der japanische Kaiser zu Gast war, bietet einen unvergesslichen Blick auf den Hida-Fluss, welcher sich direkt neben den drei eindrucksvollen Gebäuden erstreckt.

Tatamiraum im Suimeikan-Ryokan

Ein Ryokan ist ein Hotel im Stil eines japanischen Gasthauses und bietet allerhand Annehmlichkeiten. Unser Zimmer ist ein im traditionellen Stil gestalteter Tatamiraum mit Holzbalken, Schiebewänden aus Papier (Shoji) und auf einem flachen Tisch wartet schon etwas heißer Tee mit Gebäck. Doch als erstes ziehen wir uns um, denn für uns liegt schon Hotelkleidung, die Yukata, bereit. So wie wir unsere Outdoor-Kleidung ablegen, so streifen wir auch die Last der vergangenen Reisetage ab, denn nun heißt es „entspannen“. Es ist noch etwas Zeit und wir begeben uns in eines der drei großen „Gemeinschaftsbäder“ des Hotels. Im Hinoki Bad, einem Baderaum, der innen vollkommen mit Zypressenholz verschalt ist, steigt aus den Becken stetig Wasserdampf auf. Die Baderäume eines Onsen Bades sind meist besonders in Szene gesetzt. Von Außenbecken mit Blick auf die Berge oder auf einen besonders liebevoll gestalteten Garten, bis hin zu Becken, die sich in höhlenartigen Kellergewölben verbergen, ist alles dabei. Das mineralhaltige Badewasser entspringt natürlichen Quellen, vulkanischen Ursprungs.

Onsen-Becken im Suimeikan-Ryokan

Je nachdem welche Mineralien das Quellwasser auf seinem Weg aus dem Erdreich aufnimmt, variiert dessen Farbe von milchig weiß über grünlich bis rötlich. Gerade wegen des hohen Mineralgehalts werden den Onsen Quellen seit jahrhunderten heilende Wirkungen zugesprochen. Besonders bei Atemwegserkrankungen oder Problemen mit der Haut, soll ein Besuch lohnenswert sein. Das Wasser ist mancherorts so Mineralhaltig, dass die Ablagerungen am Beckenrand oder an den Wänden des Bades eher an eine Tropfsteinhöhle erinnern. Man sollte sich aber nicht wegen des „vulkanischen Ursprungs“ zu viele Sorgen machen, natürlich wird das Quellwasser auf eine badetaugliche Temperatur herunter gekühlt. Wir haben die Wahl zwischen 38, 40 und 42 Grad warmen Wasser. Zwar klingt das alles ziemlich nah beieinander, aber diese paar Grad Celsius machen schon einen erheblichen Unterschied aus.

Außenbecken des Suimeikan-Ryokan

Nachdem wir uns genügend aufgewärmt haben, sind wir schon auf dem Weg zu unserem Abendessen. Ein großes Esszimmer im japanischen Stil samt Bedienung ist heute nur für uns reserviert. Es wird ein Mehrgängemenü geben, bestehend aus Sushi Spezialitäten, feinsten Wagyu-Rindfleisch und anderen Kleinigkeiten, die uns immer wieder überraschen. Generell ist die japanische Küche sehr verspielt und es gleicht einer kulinarischen Entdeckungsreise, wenn man die Deckel der kleinen Schalen öffnet, in denen sich ungeahnte Köstlichkeiten befinden. Wer jedoch lieber auf tierische Produkte verzichtet, dem sei an dieser Stelle gesagt, Hotels in Japan sind sehr Kundenorientiert. Auf Wunsch werden die Menüs natürlich auch als vegetarisch, vegan oder nach religiösen Vorgaben zubereitet und serviert. Gut gesättigt kugeln wir zu unserem Zimmer zurück. In der Zwischenzeit wurden schon zwei Futonbetten, in der Mitte des Raumes für uns ausgebreitet. Nach einer kurzen Verdauungspause und einer Tasse Tee, macht sich wieder die “Onsen Laune” breit. Man könnte ja, noch einmal ins heiße Quellwasser abtauchen. Bevor wir uns versehen, sitzen wir im Außenbecken des Hotels und betrachten die eingeschneiten Kiefern über denen sich in der schwarzen Nacht ein heller Sichelmond präsentiert.

Zwischen heißen Quellen und Tempeln

Gassho-Mura in Gero

Es ist früh an diesem Tag, als wir aufbrechen, denn die Stadt Gero hat nicht nur unzählige Hotels und Ryokan zu bieten. Mit dem Taxi fahren wir ungefähr fünf Minuten über die von einem Fluss geteilte Hauptstraße der Stadt, die am Abend zuvor noch ins warme Licht von Laternenschein getaucht war. Wir sind auf dem Weg zum „Gassho-Mura“, ein Freilichtmuseum, in dem sich traditionelle „Gassho“-Stil Bauernhäuser der Hida-Region finden lassen.

Das "Ashiyu"-Fussbad im Gassho Mura

Als wir uns die großen Bauernhäuser im Reetdachhaus Stil anschauen fühlen wir uns auf einmal, ein bisschen wie Zuhause in Norddeutschland. Verblüffend, das vor Jahrhunderten von Jahren, die Menschen weltweit, auf dieselbe Idee gekommen sind, Schilfpflanzen als Material für Dächer zu benutzen. Beim Betreten des Hauses ist aber sämtliche norddeutsche Romantik verflogen. Im Inneren finden sich Tatami Matten, Papier Schiebewände und eine Feuerstelle, an der es ziemlich zugig ist. Wir bahnen uns unseren Weg durch das Bauernhaus, in dessen Räumen manchmal Szenen aus dem Alltagsleben nachgestellt sind. Aber auch Werkzeuge und alte Geräte lassen sich in den dunklen Räumen finden. Wir bekommen schnell einen Eindruck dafür wie kalt und beschwerlich das Leben hier früher gewesen sein muss. Draußen in Zentrum mehrerer Häuser befindet sich das „Gassho Ashiyu“, ein Fußbad Onsen. Etwas fröstelnd sitzen wir bis zu den Knien im warmen Wasser der heißen Quelle und recht schnell kehrt die Wärme zurück in unsere Körper. Das war genau, was wir nun brauchten. Vom „Ashiyu“ aus betrachten wir noch ein wenig die Szenerie, denn im kleinen Teich nebenan dreht sich friedlich ein Wasserrad, während auf den moosbewachsenen Reetdächern der Schnee schmilzt und zu leichten Dampfschwaden gen Himmel aufsteigt. Von unserem Guide erfahren wir, dass sich der Ausflug zum Dorf besonders im Frühjahr oder auch im Herbst lohnt. Denn je nach Jahreszeit ist dort entweder die Kirschblüte im Gange oder die bunten Fächerahorne präsentieren ihr farbenfrohes Laub während man durch die Waldanlage „Saijiki no Mori“, oberhalb des Dorfes spaziert.

Blick auf den „Onsen-ji“ Tempel

Unsere nächste Station ist der Onsen-Tempel, genannt „Onsen-ji“. Diesen haben wir zwar innerhalb von 5 Minuten mit dem Taxi erreicht, doch der anschließende Aufstieg zur Tempelanlagen mit ihren über einhundert Treppenstufen lässt jeglichen Gedanken an die Kälte verfliegen. Während wir etwas verschnaufen und den schönen Ausblick genießen, liegt Gero bei bestem Sonnenschein vor uns, an diesem glasklaren Tag. Friedlich von immergrünen Bäumen umgeben steht das ehrwürdige Hauptgebäude der fast tausend Jahre alten Tempelanlage vor uns. Wir bewundern die schön verzierten Gebäude mit ihren eindrucksvollen Holzarbeiten, während aus dem Haupthaus jemand seine Mantras rezitiert. In jeder Ecke der Stadt, selbst hier im Tempel, merkt man die Verbundenheit der Menschen zum Onsen. Man betet für Gesundheit und das einen die heißen Quellen von etwaigen Leiden befreien, eine schöne Vorstellung wie wir finden.

Auf den Pfaden des alten Japans

Der “Zensho-ji”-Tempel und seine markante Kiefer

Der letzte Teil unserer Reise bringt uns nach Nakatsugawa, welches zirka eine Stunde mit dem Bus von Gero entfernt liegt. Nakatsugawa gilt als Geheimtipp, von dem wir uns nun selbst ein Bild verschaffen wollen. Wir sitzen im Taxi und unterhalten uns mit dem freundlichen Fahrer, dessen Tipp es ist, den „Zenshoji Tempel“ zu besuchen. Nach einer zehnminütigen Fahrt erreichen wir den Tempel vor dem eine eindrucksvolle Kiefer thront.

Zazen-Sitzung im “Zensho-ji”-Tempel

Der örtliche Mönch erklärt uns, dass das Spezialgebiet des Tempels „Zazen“ sei und fragt, ob wir es nicht spontan einmal ausprobieren wollen. Die Bedeutung des Wortes kann man sich im Grunde so vorstellen, dass „Za“ sitzen und „Zen“ die Leerung des Geistes bedeutet. Nachdem wir es nach einer ausführlichen Erklärung selbst ausprobieren, lässt sich das Ganze in drei Phasen zusammenfassen. Zuerst beginnt man mit der Lotus-Sitzhaltung, die möglichst beibehalten werden soll.

Durch das sanfte Klopfen auf die Schulter wird man an die korrekte Sitzhaltung erinnert

Die Augen sind leicht geschlossen, der aufrechte Rücken wird durchgestreckt, die Hände fallen sanft im Schoß zusammen und bilden eine ovale Form. Danach atmet man wie beim Yoga kontrolliert durch die Nase ein und durch den Mund aus. Nun konzentriert man sich beständig auf diese beiden Punkte, wodurch man automatisch in einen meditativen Zustand verfällt. Hier verflüchtigen sich die Sorgen des Alltags. Darauf zielt Zazen im Grunde ab, man „kultiviert“ den Geist, um die Wahrheit der Dinge und des Seins zu sehen und sich überflüssiger Gedanken zu entledigen. Zwar haben wir unsere Problemchen die ganze Zeit über unsere aufrechte Sitzposition beizubehalten. Aber daran erinnert uns freundlicherweise der Mönch, sobald wir diese verlieren. Nachdem die Zeit wie im Flug verstrichen ist, fühlen wir uns mental erfrischt und starten voller Vorfreude zu neuen Abenteuern. Der Mönch erzählt uns noch davon, dass es eine Partnerschaft mit zwei weiteren Tempeln gäbe. Im nahegelegenen „Koufukuji Temple“ könne man sich in Kalligrafie üben und der „Io-ji“ Tempel sei auf Teezeremonien spezialisiert.

Eingang zur Nakasendo bei Ochiai-Juku

Nach unserem Tempelbesuch ist das nächstes Ziel aber vorerst die „Nakasendo“ bzw. ein Teilabschnitt davon. Die „Nakasendo“ war eine Handelsroute im alten Japan welche von Tokio beginnend bis nach Kyoto durch verschiedene Bergregionen Zentraljapans führte. Wir belaufen heute den Abschnitt von „Ochiai-Juku“ beginnend und folgen den gepflasterten Wegen bis „Magome-Juku“.

Gasthaus im traditionellen Stil entlang des Wanderweges

Doch bis wir dort ankommen werden führt uns der Pfad, auf den schon die alten Samurai marschiert sind, durch immergrüne Nadelwälder. Hinter jeder Kurve gibt es etwas Neues zu entdecken. Einen kleinen Schrein, ein Flusslauf mit glasklarem Bergquellwasser oder Dörfer tun sich auf, von dessen Feldern aus man immer wieder einen famosen Ausblick auf die „Südalpen“ Japans genießen kann. Über die teils von Moos bewachsenen Steinpfade pilgern wir zirka fünf Kilometer lang. Zwar ist dies eine einfach zu bewältigende Wanderstrecke.

Unterwegs auf der Nakasendo

Doch als wir uns vorstellen, wie die Menschen früher auf diesen Pfaden monatelang marschieren mussten, um an ihr Ziel zu gelangen, erinnern wir uns wieder daran, wie beschwerlich das Leben im alten Japan wohl gewesen sein musste. Nach einer kurzen Pause in einem Teehaus entlang des Weges, verschlingen wir unseren letzten „Mochi“-Reiskloß und setzen ein letztes Mal unsere Reise fort zum Etappenziel „Magome-Juku“.

Hauptpfad durch das Dorf Magome-Juku

Das pittoreske Bergdorf „Magome-Juku“ liegt friedlich an einem Bergrücken und gewährt einen Anblick wie wir ihn noch nicht gesehen haben. Ein Pfad aus schweren Natursteinen schlängelt sich bergaufwärts durch das malerische Dorf.

Wasserrad in “Magome-Juku”

Die Gasthäuser, Restaurants und kleine Cafés in traditioneller Bauweise wechseln sich nur so nach aneinander ab. Entlang des Weges plätschert ein kleiner Fluss der ab und zu, auf mal kleinere, mal größere Wasserräder umgeleitet wird. So langsam macht sich das Gefühl breit, als hätte man uns in einen alten Samuraifilm katapultiert. So stellen wir uns die „Nakasendo“ des feudalen Japans vor. Ein bisschen werden wir zwar aus unserer Vorstellung herausgerissen, als wir die Geschäfte sehen in denen wir Reiswein („Sake“) oder Handwerkswaren aus der Region kaufen können. Doch so findet sich praktischer Weise gleich ein kleines Andenken an diese schöne Wandertour.

Wir rasten noch eine Weile auf einer Bank, mit bestem Blick auf das vor uns liegende Gebirgsmassiv, bevor die Sonne schon wieder untergeht und ihre letzten Strahlen auf das gemütliche Bergdorf wirft.