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02Das Alte im Modernen Japan

Die Stadt Nagoya

Wie findet man die Spuren längst vergangener Tage in einem modernen Land wie Japan? Wenn wir „Japan“ hören, dann denken wir sicher unweigerlich an märchenhafte Tempel und Schlösser, die friedlich im Schein des Mondes stehen oder in einem Kirschblüten Thema in Szene gesetzt sind. Doch ist das schon alles? Ein Land dessen Städte sich gegenseitig in der Anzahl an Hochhäusern jährlich überbieten, sollte doch keinen Platz mehr für alte, geschichtsträchtige Orte haben, oder? Und dies ist zum Teil leider auch richtig. Seit der Meiji-Restauration entledigte man sich immer mehr von Gebäuden traditioneller Architektur und nahm sich der westlichen Bauweise an. Warum jedoch Nagoya eines dieser positiven Beispiele ist und diesen Spagat zwischen Vergangenheit und Moderne meistert, werden wir nun erläutern. Von Tokio aus erreicht man Nagoya mit dem „Shinkansen“ Hochgeschwindigkeitszug, innerhalb von eineinhalb Stunden. Von Kyoto aus dauert es sogar nur eine halbe Stunde.

Nagoya und die Owari Tokugawa

Die Burg Nagoya im Stadtzentrum

Nagoya liegt in der heutigen Präfektur Aichi, diese Region wurde früher noch als „Owari-Han“ bezeichnet, ein Lehen, das der Tokugawa Clan in der Edo-Zeit erhielt. Den Namen Tokugawa werden wir noch des Öfteren hören, da sein erster Anführer Tokugawa Ieyasu es 1603 in der „Zeit der streitenden Reiche“ schaffen sollte, als alleiniger Kriegsfürst zum „Shogun“ ernannt zu werden. Er einigte das zerstrittene Japan und sein Clan sollte für über 250 Jahre den Frieden im Land aufrechterhalten. Die Owari stellten neben den Mito und den Kii einen von drei Zweigen der Tokugawa Familie dar, dessen Hauptsitz Nagoya war. Das als kleiner Exkurs zur Geschichte der Stadt in der wir immer wieder auf die Spuren der Vergangenheit treffen werden. Als wir mit dem Shinkansen in Nagoya eintreffen ist von alledem aber nichts zu spüren, die Nagoya Station (Hauptbahnhof) liegt zwischen riesigen modernen Wolkenkratzern, die es der Sonne erschweren ihre Strahlen auf den Bahnsteig zu werfen. Wir bahnen uns unseren Weg zur U-Bahn, denn das erste Ziel unserer heutigen Reise wird die Burg Nagoya sein.

Die Burg Nagoya

Die Burg Nagoya und der Hommaru Palast

Die Burganlage liegt nur einen Katzensprung vom heutigen Rathaus entfernt und ist das eindrucksvollste Monument, welches an die Zeit der Samurai erinnert. Umgeben von riesigen Gräben und mit Kiefern bewachsenen Wällen blitzen immer wieder Teile der Burg durch die Baumwipfel. Die Vorfreude wird immer größer da sich die Burg langsam erahnen lässt. Der Haupteingang besteht aus einem riesigen, schweren Tor, eingelassen in Steinwälle dessen einzelne Felsblöcke manchmal die Größe eines Mittelklassewagens übertreffen.

Nachdem wir die Parkanlage betreten, erwartet uns die erste Überraschung. Tokugawa Ieyasu höchstpersönlich! Zwar handelt es sich um einen Schauspieler, doch sein Auftreten und seine Rüstung samt Diener versetzen uns in die Atmosphäre eines alten Samurai Films. Nach einem kurzen Gespräch und anschließenden Selfie mit dem stolzen Kriegsherren spazieren wir weiter auf den geschichtsträchtigen Wegen in die Burganlage. Als wir den Burgturm und seinen Hommaru Palast erblicken sind wir überrascht. Alles wirkt sauber und neu, woran liegt das? Leider hinterließ auch der Zweite Weltkrieg seine Spuren an Nagoya. Durch Luftangriffe brannte der Burgturm samt Palast, bis auf das Fundament nieder. Zwar konnte die eigentliche Burg relativ schnell 1959 wieder aufgebaut werden, doch die Wiedererrichtung des Hommaru-Palastes, sollte erst 2009 beginnen und noch bis 2018 andauern.

Replika einer „Kinshachi“ Giebelfigur

Was nun aber so manchem nicht aus dem Kopf gehen wird, ist immer noch die quälende Frage: „Was macht denn nun die Burganlage so besonders“? Neben dem reich verzierten Hommaru-Palast, auf den wir gleich eingehen möchten, ist das hervorstechendste Merkmal der Burg, ihre zwei „Kinshachi“. Dabei handelt es sich um zwei stilisierte, mit Gold verzierte Delfine welche stolz auf den Giebeln des Burgturms thronen. Diese goldenen Delfine, die uns eher an Drachen erinnert haben, sind über 2,50 m groß und mit 18 karätigem Gold beschlagen. Selbst aus der Ferne betrachtet wirken diese strahlenden, drachenartigen Giebelfiguren noch groß und eindrucksvoll.

Sie wurden als Schutzsymbol errichtet, um das Gebäude vor Angriffen und Zerstörung zu bewahren. Tatsächlich blieb die Burg seit ihrer Errichtung von 1615 vor gegnerischen Angriffen verschont, bis 1945 jedenfalls.

Warteraum im Hommaru Palast

Doch kommen wir zu dem atemberaubendsten Teil der Anlage, dem Hommaru-Palast. Unter unseren Füßen quietschen die Dielen des Flures, nicht weil sie verzogen sind oder gar schlecht verarbeitet. Dieses Quietschen ist tatsächlich ein Abwehrmechanismus, der es gemeinen Meuchelmördern erschweren sollte, sich nachts unerkannt auf den Fluren zu bewegen. Diese Sicherheitsvorkehrungen haben auch einen triftigen Grund, denn vom Gedanken her sollte der Palast als Unterkunft für den Shogun selbst und sein Gefolge dienen.

kunstvolle Verzierung im Hommaru Palast

In diesem einstöckigen Bau vereinte sich auf 3100 Quadratmetern das gesamte Können japanischer Handwerkskunst zu einem einzigartigen Gebäude. Typisch für diesen Baustil und die Region Nagoya war die Verwendung von Hinoki-Zypressen Holz, welches neben seinen guten baulichen Eigenschaften auch reich an ätherischen Ölen ist und einen besonderen Duft abgibt. Beflügelt vom Hinoki Duft wandelt man nun über die Flure, von denen aus die kunstvoll, verzierten Räume betrachtet werden können. Anfangs beschränken sich die Dekorationen nur auf handbemalte Schiebewände, welche Szenen aus der Natur des feudalen Japans widerspiegeln.

„Jodannoma“ im Hommaru Palast

Doch umso weiter wir in den Palast vordringen umso edler und aufwendiger gearbeitet werden die einzelnen Räume. Irgendwann fragt man sich als Betrachter, ob dieser Prunk überhaupt noch übertroffen werden kann. Und er wird übertroffen! Denn nun finden wir selbst über den Trennwänden auf einmal gemäldeartige Schnitzereien. Selbst die Balken sind mit immer aufwändigeren Blechbeschlägen besetzt. Doch den krönenden Abschluss, stellt die „Jorakuden“-Halle mit ihrem „Jodannoma“, dem „erhöhten Raum“ dar. Der anspruchsvoll dekorierte Raum raubt den meisten Besuchern den Atem. Dort sollten nur die wichtigsten Feudalherren empfangen werden oder der Shogun selbst kehrte dort ein. So die Theorie, denn das Tokugawa Shogunat war von Amts wegen an seinen Sitz in Edo (dem heutigen Tokio) gebunden und der Teil des Tokugawa Clans, welcher in Nagoya lebte, ließ sich eine eigene Residenz auf dem Burggelände errichten. In Wirklichkeit war also der Hommaru-Palast zu dieser Zeit eher das teuerste Ferienhaus Japans als die tatsächliche Residenz des Tokugawa Shoguns.

Das Tokugawa Kunstmuseum und der Tokugawa Park

Schriftrolle über die Geschichte von Prinz Genji

Karpfen im „Ryusenko“

Nach einer etwas längeren Taxifahrt durch die schöne Stadt, erreichen wir eine große Parkanlage samt Museum. Neben dem Tokugawa Park findet sich auch das Tokugawa Kunstmuseum, welches unglaubliche zehntausend Exponate zählt. Das Museum bietet nicht nur die weltgrößte Sammlung an Samurai Schwertern, Rüstungen und unzählige Kunst Artefakte aus dem Bereich der Teezeremonie sowie dem „No“ Theater, sondern beinhaltet auch die illustrierte Schriftrolle über die Geschichte von „Prinz Genji“. Dieser stellt wohl den bedeutendsten Roman in der japanischen Geschichte dar, der als nationales Kulturerbe eingestuft ist. Als Samurai Fans ist unser erstes Ziel die Rüstung samt Schwert von Tokugawa Ieyasu welche er in den Schlachten der Sengoku-Zeit benutzt und getragen hat.

Die einzelnen Exponate überschlagen sich in ihrer Schönheit, wodurch manche einer Aufzählung gar nicht gerecht werden können. Oft betrachten wir erstaunt die fein gearbeiteten Gegenstände, die schon meist mehrere hundert Jahre alt sind. Ein Mitarbeiter des Museums weist uns darauf hin, dass durch die Fülle an Exponaten nicht alle ausgestellt werden können, weshalb je nach Saison Spezialausstellungen im Museum zu finden sind.

Flusslauf im Tokugawa Park

Doch nicht nur Kunstgegenstände hat die Anlage zu bieten. Das „Houzentei“ Restaurant im „Kansenro“, einem zweistöckigen Gebäude zwischen Park und Museum offeriert seinen Gästen traditionelle japanische Küche mit einem erstklassigen Blick auf den „Ryusenko“, den Zierteich des Tokugawa Parks. Neben dem Ryusenko-Teich beherbergt der Park ebenfalls zwei wunderschöne Wasserfälle, ein Teehaus und verschiedenste saisonale Blumenausstellungen. Wir ertappen uns dabei, wie wir an den Ufern des Teiches hocken und versuchen einen der prächtigen, bunten Koi-Karpfen zu streicheln, welche sich flach unter der Wasseroberfläche tummeln. Beim Spazieren wird man immer wieder auf verschiedenste Ansichten treffen, welche an die wilde Natur Japans erinnern. Neben angelegten Steininseln, die an Felsen und Inseln einer Küstenregion erinnern, finden sich auch Stege und Steinstufen, welche über das Wasser führen. Immer mit alten, knochigen Schwarzkiefern oder Ahornen im Hintergrund.

Am höchsten Punkt der Anlage finden wir einen 6m hohen Wasserfall der malerisch in Stein gebetet von Ahornen umgeben zum Verweilen einlädt. Gerade die farbenfrohen Fächerahorne des Parks präsentieren stolz im Frühjahr und Herbst, dem Betrachter, ihr buntes Laub. Der Herbst hat schon etwas, die Temperaturen liegen selbst ende Oktober noch bei über fünfzehn Grad und die Sonnenstrahlen spielen mit den rot- bis orangefarbenen Blättern der Bäume.

Shikemichi

„Shikemichi“ Altstadtviertel

Ein ganz besonderes Flair bietet die „Shikemichi“, ein kleines verschachteltes Altstadtviertel, welches man von der Nagoya Station aus in zirka zehn Minuten zu Fuß erreichen kann. Umringt von Hochhäusern liegt das ehemalige Händlerviertel, der unaufhörlichen Dynamik des Fortschritts trotzend, wie ein Fels in der Brandung. An diesem Ort finden sich immer wieder große Kaufmannsanwesen aus der Edo-Zeit, dessen Form erahnen lässt, dass hier Waren wie Reis, Kimono-Seide und andere wertvolle Güter gehandelt wurden.

Eingang zu einem Restaurant und Café

In den gut erhaltenen Handelsgebäuden sind nun kleine Cafés, Hotels und Boutiquen integriert, die zum Einkaufen und Verweilen einladen. Die typische Farbkombination von weiß gekalkten Wänden und dunklem Holz aber auch die liebevollen Dekorationen setzen immer wieder farbliche Akzente in der urbanen Landschaft. Vor den noch teils bewohnten Häusern finden sich Moosflechten, Bambus als Pflanzschalen und das ein oder andere Bonsai-Bäumchen. Diese Dekorationen in Kombination mit den verwinkelten Gassen des kleinen Viertels animieren uns immer wieder zu Entdeckungstouren. Die aneinandergereihten Wohnhäuser im traditionellen Stil bilden oftmals pittoreske Straßenzüge, wie man sie nur noch eher selten findet. Die renovierten Geschäfte und Gasthäuser versinnbildlichen aber auch die Fähigkeit der Japaner traditionelles mit der Moderne zu kombinieren und wer eine moderne, stilvolle Unterkunft in traditionellem Design mit dem dazu passenden Umfeld sucht, wird diesen Ort wahrscheinlich lieben lernen.

Owari Teekultur und das Tamesaburo Gedenkmuseum

Matcha-Tee mit Mochi-Dessert im Gedenkmuseum

Neben dem stolzen Owari Tokugawa Clan, gab es aber auch andere großartige Persönlichkeiten in der Stadt. Einer davon war Furukawa Tamesaburo, ein talentierter Geschäftsmann, der in verschiedenen Branchen erfolgreich war. Während seines langen Lebens liebte er es Kunstgegenstände zu sammeln und in seiner Freizeit japanischen Tee zu genießen. Im hohen Alter mit dem Wunsch, die gesammelten Werke den Menschen zur Verfügung zu stellen, stiftete er seine Sammlerstücke und eröffnete 1991 das Furukawa Kunst Museum. Des Weiteren hegte Tamesaburo vor seinem Tod, den Wunsch seine Residenz „Ishun-Tei“ zum Ort der Entspannung für Jedermann zu gestalten und ließ diese zur Ausstellungsfläche samt Café umkonstruieren.

Innenhof des Tamesaburo Gedenkmuseums

Eine gute Anlaufstelle um die Teekultur der Owari-Han und der alten Samurai zu genießen ist wohl das Tamesaburo Gedenkmuseum. Vom Hauptbahnhof aus erreichen wir es innerhalb von zehn Minuten. Hierbei handelt es sich um die ehemalige Residenz des Kunstsammlers. Umgeben von Hochhäusern thront das Anwesen auf einem Steinfundament, welches schon fast an eine Burganlage erinnert. Die hohen und gerade gewachsene Nadelbäume des Gartens, lassen schon von weitem einen besonderen Ort erahnen. Eine kleine grüne Oase in einer Betonlandschaft. Beim Betreten des Haupttors fällt uns sofort das wunderschöne Haupthaus, das „Ishun-Tei“ auf, welches im „Sukiya“-Stil gebaut worden ist.

Tamesaburo Gedenkmuseum Steingarten

Dieser ist einer der bedeutendsten Baustile der japanischen Vorindustriellen Zeit. Ein Stil der die Ästhetik des alten Japans in jeder Ecke des Anwesens wieder spiegelt. Die Schönheit dieses Gebäudes liegt nicht im Prunk wie beim Hommaru-Palast, sondern im Detail. Seine Einfachheit und Schlichtheit im Einklang mit der Natur machen diesen Ort zu einer Perle. In den acht großen Tee Räumen den „Chashitsu“, sind meist Tee-Keramiken örtlicher Künstler ausgestellt. Jeder der individuell gestalteten Räume ist so angeordnet, dass der Betrachter während des Tee Trinkens die Möglichkeit hatte seinen Blick nach außen in den Garten schweifen zu lassen. Das Gebäude hat aber auch einen mit Bambus bepflanzten Innenhof zu bieten. Zwar dienen die meisten Räume nun als Ausstellungsfläche, aber durch klug positionierte Sitzgelegenheiten und das integrierte Café, können Gäste weiterhin während ihres Besuchs, mit ständigem Blick auf den liebevoll gestalteten Garten, Tee genießen. Der ausladende Garten wirkt tatsächlich wie eine kleine Oase.

Durch die abwechslungsreiche Vegetation spiegeln sich in ihm alle vier Jahreszeiten wider. Neben der Kirschblüte im Frühjahr und den bunten Fächerahornen des Herbstes, hat der Garten auch eine Fülle an immergrünen Gewächsen. Die großen stolzen Bäume, von den Tamesaburo überzeugt war, dass die Geister in ihnen innewohnen, spenden dem gesamten Anwesen Schatten und gerade in den heißen Sommermonaten sorgt ein kühler Luftstrom für zusätzlich Abkühlung. Es hat schon fast etwas kindliches, als wir versuchen unsere Füße immer präzise auf den großen Flusskieselstein zu setzen um nicht das umliegende Moos zu zertreten.

Und wo wir uns so umschauen merken wir auf einmal, dass wir mitten im Garten zwischen Moos, Bambus und Steinstufen stehen. Ein Moment der uns wieder einmal kurz den Atem stocken lässt. Vor unseren Füßen plätschert ein künstlich angelegter Fluss, dieser soll den Kiso Fluss nachahmen, welcher in Nagoya ins Meer mündet. Er trennt das Haupthaus vom Teehaus dem sogenannten „Chisoku-An“, dort werden nach wie vor Teezeremonien abgehalten. Ästhetik mit der tiefen Verbundenheit zur Natur, ist in der ehemaligen Residenz allgegenwärtig und definitiv einen Ausflug wert.